Zu den Paradoxien des katholischen Glaubens, dessen Natur eben gerade darin besteht, die Wahrheit in unaufhebbaren Paradoxien ausdrücken zu wollen, gehört, daß er keine Buchreligion ist und daß dieses Keine-Buchreligion-Sein in nichts besser und sinnfälliger ausgedrückt ist als im Meßbuch. Die Heilige Schrift ist in diesem Meßbuch zwar anwesend, aber sie tritt in dem Gewand auf, das die Tradition für sie geschneidert hat. In der Auswahl der Perikopen durch ihre Übersetzung ins Lateinisch und durch den Zusammenhang, in den sie gesetzt werden, etwa in der Art, wie Altes und Neues Testament sich gegenseitig erläutern, erhebt die Tradition ihren Anspruch, gleichfalls als Offenbarung begriffen zu werden, nicht anders als schließlich die Offenbarung der Sakramente, der durch die Kirche vermittelten heilenden und segnenden Gegenwart Christi.
Martin Mosebach, Häresie der Formlosigkeit: Die römische Liturgie und ihr Feind